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Eine Geschichte

Autor: Brian Barth, 1997

Der Strahl des Scheinwerfers schnitt sich durch die Dunkelheit. Inspektor Holbrooks folgte dem schwach erleuchteten Asphalt. Das geringe Leuchtfeld begrenzte seinen visuellen Radius. Der Wagen schnurrte geradewegs durch den Regen, seine Reifen traktierten die Fahrbahn und suchten Halt auf dem feuchten und alten Teer. Die Straße nahm plötzlich eine Kurve und mühte sich durch die Einfahrt. Links und rechts der Fahrbahn thronten Säulen, geschmückt mit Tierköpfen der Vergangenheit. Sie hielten die schweren Eisentore in der Schwebe, die sich mit einem Ächzen öffneten. Gerade holte der Scheibenwischer die nimmer enden wollenden Tropfen von der Scheibe und beförderte sie in die Senkrechte, wo sie zum Rinnsal vereint dem Weg der Schwerkraft folgten, als sich ein Blitz vom Himmel löste und Holbrook einen Blick auf das gewahr, was er schon kannte. Im stählernen, harten Licht wirkte das Schlößchen nicht mehr so bezaubernd wie er es in Erinnerung hatte. In seiner Kindheit besuchte er das Schloß häufig, hier gab es immer wieder Spielenachmittage mit Versteckspielen und Figurentheater, inszeniert von der Besitzerin, einer schon damals sehr alten Frau heiteren Herzens. Doch als diese Vergangenheit wurde verschwand auch das Theater und das Tor stand nicht mehr offen. Die glanzvolle Aura wich mit dem sich abblätternden Putz. Der neue Besitzer war ein völlig unbekannter in dieser Gegend und man sah ihn eher selten, ja man hatte sogar das Gefühl, er verstecke sich.
So wunderte sich auch Holbrook nicht, als die Adresse seines Einsatzortes dieses ehemals so verzauberte Schlößchen war. Schwungvoll durchfuhr er nun das massive Tor und bog nach rechts ab, dem nicht ganz so direkten Weg zum Hauptteil, aber dem dafür idealen Weg, um der schon lauernden Presse aus dem Weg zu gehen. Er hoffte, daß der Eingang zu den Stallungen nicht verschlossen war und er somit unbemerkt durch einen Verbindungstrakt in die Gemächer des seltsamen Herren gelangen könnte." Steve legte das alberne Buch nieder und schloß seine Augen. Warum nur hatte er vergessen sich Lektüre mitzunehmen. Er haßte Kriminalgeschichten und Steve konnte auch das Fliegen nicht leiden. Es begleiteten ihn zunehmens Schlaflosigkeit und Jetlacks, seine Kondition litt darunter. Steve war kein unbekannter. Sein Gesicht starrte von einigen Kreditkarten, die er mit einem verschwindenden Lächeln, einem Versuch der biederen Freundlichkeit, über den Schalter schob. Während die Dame an der Ticketausgabe ihm angab mit Ländern, Städten, Koordinaten, schaute sich Steve in der Flughalle um. Dort lachten ihn viele Models von schönen Plakaten an, Orte, Reisen, Freude und er verfiel dieser Botschaft mit einem sanften Lächeln, das er der nimmer müde werdenden Dame am Schalter schenkte. Diese Inseln der heilen Welt waren und gebaren seinen Traum, das Heiligtum des Plexiversiegelten, Hintergrundbeleuchteten, diese Botschaft die sein wurde, so schlecht war diese Welt gar nicht. Er steckte seine Kreditkarte ein, nahm seine bunten Tickets, die Abrechnung und was auch immer ihm noch geboten wurde und machte sich los. An manchen Tagen brachte er noch ein unmissverständliches Tschüs über die Lippen, doch es war kalt draußen und unfreundlich. Steve haßte auch den Winter. Ein feuchter Nebel lies ihn sein Flugzeug kaum erahnen. Noch als er sich mit seinem Köfferchen im Ausleger auf das Band stellte, vermißte er jeglichen Sonnenstrahl. Mechanisch surrte er Richtung Heimat, gelangweilt, übersättigt und im Bewußtsein dieser Übersättigung. So überraschte es ihn, als die Stewardess ihn begrüßte und ihre gelernten Sätze freundlich darbot. Ihr dick aufgetragenes Parfüm und der sichtbare Ansatz des Lippenstiftes waren Steve zu wider. Die trockene Luft des Innenraumes machte diesen Eindruck auch nicht wieder wett und so ließ er sich auf dem von ihm erstandenen Platz nieder. Um Steve herum tobten noch andere Passagiere, die neugierig ihre Plätze suchten. Taschen erhoben sich in die Lüfte und verschwanden bald hinter mächtigen Klappen, Jacketts und Mäntel folgten und bald ergab sich eine Aura von Achselschweiß und luxuriösen Düften, die schwer auf die sitzende Masse niederfiel. Als die Triebwerke zündeten, fand noch so manche Schweißperle ihren Weg zu Boden, bis der provozierte Streß endlich nachließ und alle wild in Sicherheitsvorschriften blätterten. Obwohl Steve die Augen schloß konnte er nicht vermeiden, daß das Atmen von schnaufenden, gestreßten Leuten den Weg zu seinem Ohr fand, ein Klirren von Lächeln und Fröhlichkeit machte sich breit und erfror, erstarrte zu einer bedeutungslosen Mine noch bevor er die Augen öffnete um den Kaffee entgegen zu nehmen. Steve haßte Kaffee und verlangte Zucker und Milch, reichlich. Auf seinen Wunsch hin brachte man ihm ein Buch, worin er unzufrieden blätterte. Er schloß die Augen. Er versuchte die Reise durch Schlaf zu verkürzen. Wie schon so häufig. Es gelang ihm nicht. So quälte er sich mit Gedanken. Er wurde nie müde zu zeigen, zu reden, zu diskutieren, zu warnen. Niemanden wies er ab. Seine Offenheit machte ihn verletzlich, seine Ohnmacht brachte ihn um. Gebe es auf dieser Welt etwas was ihn zufrieden stellen würde, nein, einfach nur erfüllen würde, er wäre bereit es anzunehmen.
Mit einem erlösenden Pfeifen verkündete der Umkehrschub die erfolgreiche Landung und Steve war einer der letzten, die den Fuß in den Airportbus setzen. Die Tür schloß wuchtig und sperrte die ersten Schneeflocken aus. Steve taumelte im Takt mit den anderen. Der Bus steuerte zum Terminal. Unfehlbar näherte sich der Fahrer dem Eingang 5, der mit einer großen Zahl über der Tür schon von weiten zu ertasten war. Orangene Lichtstreifen wärmten die ausdruckslose Mimik der Aufseher, ein Spalt wuchs und gab Steve Eintritt in die neondurchflutete Halle. Er fand seinen Weg vorbei an den vielen glückstrahlenden, erwartungserfüllenden Gestalten, denen er wenig Bedeutung vermaß. Er mochte das Umarmungszeremoniell nicht wahrnehmen, das all den anderen beschert wurde. Er beeilte sich zum Ausgang, wo die Dämmerung allmählich einsetzte. Durch die Schneeflocken kristallisierte sich die müde Sonne, das verlockende Blau umgab die Skyline und erkämpfte sich die Vorherrschaft am Horizont. Für einen Moment zögerte Steve in das sich darbietende Taxi einzusteigen, überlegte und ergriff die Tür. Ein Brummen erhallte im Fond und langsam zog der Wagen aus der Lücke heraus in die Schlange der Gleichgesinnten. Stumpfsinnig machte sich der Scheibenwischer an die Arbeit und verteilte die Schneeflocken über die Windschutzscheibe. Mit dem Fahrer starrte er gerade aus in den Leuchtreklamenhimmel der sich nähernden Stadt. Der Taxifahrer hatte es aufgeben, mit Steve ein Gespräch anzufangen. Steve wollte nichts sagen. Mühselig schaufelten sich die Reifen durch den Matsch der Gassen, deren Freunde sich wohlgepackt aneinander reihten. Ihnen galt Steves Sympathie. Sie waren frei, scheinbar und wahrlich. Hausfassaden drängten sich dicht an dicht, zogen aus seinen Augenwinkeln und verschwanden in der blassen Vergangenheit. Spuren von Menschen strömten an seinem Heckfenster vorbei. Überquillende, durstende Taschen mit vielversprechenden Namen schliffen über den Boden, zogen ihr Herrchen entlang der meilenlosen Boulevards. Er flog sanft auf diesem Zeitstrang und beobachte namenlos dieses Treiben. Sie mußte lügen, diese Tonlosigkeit. Sie war scheinbar. Sie war verräterisch. Mit einem lautlosen Ruck bewegte sich der Wagen zum nächsten Schauplatz. Widerwitzige Bäumchen auf Vorsprüngen prangten dort um ihr Reich im Himmelsblau. Nikotinketten zogen quer ein. Der Matsch spiegelte Facetten, Augen, Farben, erdrückend. Steve stieg aus, wohlwissend um seinen langen Fußweg hindurch. Die Ruhe wich der schalen Buntheit, Bewegung. Geräusche stellten sich pulsierend ein. Alle sahen ihn an. Alle starrten weg. Gesichtslose Minen verzogen, kalt, nichtssagend. Der wahre Glanz der Straße verbarg sich in der Wärme der Herzen, die zuhause gelassen wurden. Die Lüge offenbarte sich in den Lampen, die vom Schnee geschmückt wurden und so sinnlich strahlten. Sie geleiteten Steve nach Hause, nirgendwo. Steve spielte schon lange in seiner Tasche an den Wohnungsschlüsseln herum. Es dauerte daher nicht lange, bis er sich hinein retten konnte. Die Tür schloß die Perversion hinter ihm aus und bot ihm endlose Ruhe in einem schmucken Raum, den er nicht ernst nahm. Seinen Mantel brachte er auf einen Bügel und goß sich ein Glas Wasser ein. Wieder: Ein Tag geschafft. Er ließ sich in den bereitgestellten Sessel fallen, nahm einen Schluck seines Festtagsgetränkes und verwandelte sich in einen Schlafenden.
Er steht auf einem Berg, der höchste in dieser hügeligen, kargen Landschaft. Er ist umgeben von einem nie gesehen Grün, saftig und frisch, der Kontrast zum tiefen Blau des Himmels ist überzogen. Außer Büschen wagt nichts das perfekte Bild der Landschaft zu stören. Eine unendliche Weite unterstreicht die Schönheit, den Glanz dieser nordischen Welt. Nackt steht er da und erhebt seine Arme horizontal über die Natur. In dieser Ruhe schließt er die Augen. Er atmet frei. Wir umkreisen ihn gemächlich. Er dreht sich noch viel langsamer gegenläufig. Er ist wirklich frei. Jetzt sehen wir ihn aus einer tieferen Perspektive, fast wie ein Gott erscheint uns diese Figur, makellos, kräftig und beherrschend. Seine Muskeln sind leicht angespannt und deuten in nur eine Richtung, nach oben. Diese Konzentration seines Körpers erhöht das Bild seiner Schönheit. Die Ansammlung seiner Energie fließt in seine Arme, mit denen er tiefe Wolken anzieht, schwarz. Sie schweben aus allen Richtungen zu ihm, schnell. Der Himmel wird dunkel und gewährt uns nur noch einen feinen Streifen Helligkeit. Ist es seine Macht, die im Streiflicht so grenzenlos aussieht? Die Wolken akkumulierten sich über ihm. Die ganze Gewalt der Natur ist auf ihn gerichtet und seine Macht auf die Natur. Die Zeit scheint einen Moment anzuhalten, still zu stehen. Unwissendlich erhallt eine Melodie, sanft, zart. Und als er die Arme ganz nach oben richtet und die Augen öffnet, eilt ein Windstoß durch seine Haare. In dem Moment ist er eins mit der Natur. Die Energie der Welt ist auf diesen Punkt gerichtet. Aus Demut müssen wir etwas zurück weichen. Seine Augen starren nach oben, seine Arme gehen zurück in die Waagerechte. Er inhaliert ein letztes Mal tief. Der Donner übertönt sein schreiverzerrtes Gesicht. Mit aller Willensenergie erhellt der Blitz und zerfetzt ihn. Tausend Bruchstücke. Außer der Leere bleibt nichts zurück.